Ottokar von Kraft                  Einem Freunde

                                                                              Julius von Karolij

 

Ich schritt, ein Träumer, durch mein jüngstes Leben,

Die Blicke aufwärts nur emporgesenet,

Und von des Himmels Glanze fast geblendet,

Vergaß ich bald, nach ird’schem Glück zu streben.

 

Du wieder warst der Welt zu sehr ergeben,

Des Lebens nächsten Zielen bloß verpfändet,

Und so den hehrsten Gütern halb entwendet,

Versäumtest du zum Höchsten aufzuschweben.

 

Seit uns ein glücklich Schicksal nun verbunden,

Lehrst du des Lebens Ziele mich ergreifen,

Ich dich, was du noch nie gedacht, empfunden.

 

So laßt der Zukunft uns entgegenreifen,

Und immer, wenn vollbracht der Arbeit Stunden,

Empor zum Höchsten mit der Seele schweifen!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Pariser Weltausstellung 1900

 

Den Silberstrom entlang zu beiden Seiten

Sah ich das Buch der Völker aufgeschlagen;

Aus aller Welt ward hier herbeigetragen,

Was Menschenwitz nur jemals konnt’ bereiten.

 

Wie Aug’ und Ohr sich der Verachtung wihten,

Wie mich’s erfüllt, ich brauch’s nicht erst zu sagen;

Was ich gesehn in all den Wundertagen,

Vergess’ ich nicht für alle Lebenszeiten.

 

Und dennoch: wißt ihr, von den Herrlichkeiten

Was dort wie hier am meisten mir gefallen

Und mich entzückt wie heut’ so stets vor allen?

 

Was über allen Völkern prangt und Zeiten:

Bei Tage schöne Menschen im Gewimmel,

Und nachts ob meinem Haupt der Sternenhimmel.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  In der Silvesternacht 1902

 

Ich kann nicht sagen, jetzt, von dieser Stunde,

Will viel und recht ich schaffen, dichten, singen;

Ich kann nicht prahlen, dies will ich vollbringen,

Eh wieder abgerollt des Jahres Runde.

 

Ich kann nicht künen mit wahrhaft’gem Munde,

Dies, dies und dies soll mir im Jahr gelingen;

Von meinem Genius kann ich nichts erzwingen,

Zwei janz Verschied’ne sind wir zwei im Grunde.

 

Sein Werkzeug bin ich nur; was ich erstrebe,

Liegt nichts an mir, und alles, was ich habe,

Ist ein Geschenk, und zwiefach, was ich gebe.

 

Kein Vorsatz drum! Nur beten, besten Falles:

Gebt, Götter, mir’s, - bin nur ein Bettlerknabe,

Der nichts kann ohne euch, nur mit euch alles!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Mein erster Kirchgang

 

Als ich als Knab’ dereinst zur Kirche sollte

Zum erstenmal mit meiner Schule gehn,

Ist bei der Wandlung Ärgernis geschehn,

Worüber man daheim dem Kinde grollte.

 

Als nämlich man dem Höchsten Andacht zollte

Und jung und alt konnt’ auf den Knieen sehn,

Blieb ich allein hoch aufgerichtet stehn,

Das einz’ge Kind, das sich nicht eugen wollte.

 

Den Grund vermag ich wahrlich nicht zu sagen,

Denn hatt’ ich einen, weiß ich heut’ ihn nicht,

Und einen bösen wittern, wär’ zum Lachen.

 

Doch hielt ich fest den Fall aus Kindertagen,

Da er so zeitig für mein Kredo spricht

Und meine Sonderart in Glaubenssachen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Sehnsucht nach Italien

 

So oft vom Himmelselt, dem dunkelblauen,

Die Julisonne glüh’nde Pfeile sendet;

So oft mein Schritt sich nach dem Parke wendet,

Das Aug’ an Menschenschönheit zu erbauen;

 

So oft in Nächten, mondscheinhellen, lauen,

Ich mich ergeh’, wenn sich der Tag vollendet;

So oft mein Ohr an Klängen sich verschwendet,

Entlockt der Laute, wenn die Sterne tauen:

 

Stets seh’ ich dann im Geist Italiens Auen,

Mir auszumalen kann ich nie ermüden

Neapels Knaben und Neapels Frauen.

 

Ja, fliegen möcht’ ich, dieses Land zu schauen!

Denn eine sehnsucht zieht mich nach dem Süden,

Wie kaum Verbannte nach den Heimatgauen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Oper Mignon

 

Kennst du das Land...? O Abend voller Wonnen,

Als Sie mir sang dies hehre Lied der Lieder!

Wie wogte da die Brust mir auf und nieder

Vor Sehnsucht, ach! nach jenem Land der Sonnen!

 

Und ist die Stunde längst mir auch entronnen,

Dies hohe Lied erneut sie stets mir wieder,

Und Lerche Sehnsucht hebt ihr hell Gefieder,

Und wiegt sich neu ob altem Wunderbronnen.

 

Dann träum’ ich Marmorhallen und Paläste,

Die Felsen seh’ ich um den Garda ragen,

Orangen leuchten durch smaragd’ne Äste;

 

Laut fühl’ mein Herz ich nach dem Lande schlagen,

Dahin seit je der deutschen Dichter beste

Die Sehnsucht erst und dann der Fuß getragen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Oper Carmen

 

Stets hör’ ich sie! Fort tönt mir im Gemüte

Draus jedes Lied! Wie einst in Jünglingstagen,

Fühl’ ich bei jedem hoch das Herz mir schlagen,

Und einem Spanier macht’s mich von Geblüte.

 

O Oper Carmen! Südens schönste Blüte!

Wohin, wohin machst du den Geist enttragen?

Sevillas Türme seh’ ich vormir ragen,

Ich seh’ das Land, dem ich seit Kind erglühte.

 

Wo blau der Himmel, sengend heiß die sonne,

Der schönern Menschheit Heim, der unerschlafften,

Nicht unsrer kalten, lebenssücht’gen, müden.

 

O Land des Lebens! Land der Liebeswonne!

O starker Triebe Sand, der Leidenschaften!

O Spanien!... Meiner Carmen Land!... O Süden!!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Bekehrung zum Deutschtum

 

Denk’ ich des Lands der Palmen und Zitronen,

Wo ragt die Myrte, wo der Ölbaum blüht,

Wo hoch aus Himmels Blau die Sonne glüht,

Wo Leben lacht und Lieb’ und Schönheit thronen;

 

Denk’ ich Italiens, Spaniens holder Zonen,

Im Herzen Heimweh, Sehnsucht im Gemüt,

Greift Ehrfurcht mich, Anbetung vor dem Süd,

Doch Spleen, in Nordens kaltem Reich zu wohnen;

 

Und kommt mir dann nur Wagner in den Sinn,

Ein Vers, ein Ton, ein Lied, sei’s dröhnend, leise,

Sachs, Wolfram, Tristan, Siegfried, Lohengrin:

 

Vorbei mit eins ist’s mit der Fremde Preise!

Dank, jauchz’ ich, Dank! daß ich ein Deutscher bin:

Hoch über allem deutsche Kunst und Weise!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das beleuchtete Schlüsselloch

 

Nach Hause kehrt’ ich spät. Des Lämpchens Flimmer

Im Hausflur ausgelöscht. Stockfinstre Nacht.

Ich schritt behutsam, leise, tastend sacht

Nach rechts und links, ich fand die Türe nimmer.

 

Mit eins bemerk’ ich, wie ein schwacher Schimmer

Aus kleinster Öffnung mir entgegenlacht;

Mein Licht ist’s, das mein Diener, der noch wacht,

Mich wohl erwartend, angebrannt im Zimmer.

 

Ich schreit’ drauf zu mit festen, sich’ren Tritten,

Schon grüßt vom Pult mich meiner Lampe Strahl,

Ich steh’ in meines kleinen Tempels Mitten.

 

So – dacht’ ich – führt uns stets das Ideal,

Das schwächste selbst, verfolgt mit festen Schritten,

Aus tiefster Nacht noch in den hellsten Saal.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wiener Hofburgtheater

 

Heil, Tempel. dir in teurer Großstadt Mitten!

Hort jeder Größe mir in Jünglingszeiten!

Hier fühlt’ ich schwellen, steigern sich und weiten

Den Geist vor des Geschicks Gigantenschritten!

 

Hier staunt’ ich oft, wie Riesen stritten, litten,

Die siegend Großes stets in mir befreiten,

Hier sah zuerst ich Schillers Helden schreiten

Und Goethes und des größten aller Briten.

 

O Szenen, ewig wert! O Rauschsekunden,

Wenn ich hinaustrat in die Menschenmenge!

O ihr Ekstasen, hier dereinst empfunden

 

Vor Iphigeniens Bild! O im Gedränge

Du Sturmwind von Gefühlen und Gedanken!

Wie zwäng’ ich das in des Gedichtes Schranken!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wiener Hofoper

 

O Oper, hehrste Stätte mir auf Erden!

Quell, draus der Freuden höchste ich genossen!

O Bronnen, der die Gottheit mir erschlossen

In Tagen, da noch ganz ich war im Werden!

 

O Geisteshöhn, unfaßbar Menschenherden,

Draus Götterblitze in das Herz mir schossen!

O Nächte, wo, in Himmelslust zerflossen,

Ich Abschied winkte deinen Flügelpferden!

 

O Oper, Tempel mir! Glück, unvergeßlich!

O Abende voll namenloser Wonnen!

O Geistesfeste! Räusche unermeßlich!

 

Gewalt’ge Zeit! entschwund’ne! unsagbare!

Du meines Lebens ew’ger Jugendbronnen!

O Neustadt! ... Jünglingszeit! ... O Götterjahre!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Zwölf Jahre sind’s

 

So oft vom Haus ich fort die Schritte wende,

Bepackt mit Büchern, in die Schul’ zu schreiten,

Und frohe Knaben seh’ mich hin begleiten,

An die ich Wort’ und Blicke gern verschwende,

 

Zu meinem Geist dann sag’ ich: Flieg! und sende

ihn flugs in längst entschwund’ner Jahre Weiten,

Von meinen Knaben- träum’ ich, Schülerzeiten,

Da ich noch selbst empfing der Bildung Spende.

 

Zwölf Jahre sind’s! Wann’s besser war? An Wissen

ward ich wohl reicher, gern auch geb’ ich andern,

Was selbst mein Glück und Geistes höchste Labe.

 

Und doch, Beruf, Stand, Weisheit wollt’ ich missen,

Könnt’ ich aufs neu’, ein fünfzehnjähr’ger Knabe,

Mit Büchern unterm Arm zur Schule wandern.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Marmorbilder

 

Vor Marmorbildern im Gebet versunken,

Hab’ ich in Künstlers Sehnsucht oft gestanden,

Den Geist gewandt nach ew’ger Schönheit Landen,

Wo er nicht weilt, denn hehrster Wonne trunken.

 

Da dacht’ ich oft, versehrt vom Liebesfunken:

O würd’ mein Sehnen doch vom Stein verstanden!

O könnt’ ich doch mit Herz- und Geistesbanden

Mich an ihn fesseln, der so hehr kann prunken!

 

Dann jener Menschen mußt’ ich stets gedenken,

Die gleich den Statuten mich oft entzückten,

Entfachend Glut nach göttlichem Verschenken,

 

Doch denen auch kein Wörtchen konnte schildern

Den hehren Sehnsuchtsrausch des Weltentrückten,

Weil sie verständnislos gleich Marmorbildern.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die unser gewesen

 

Wer je zu heimlich süßem Liebesbunde

Dir willig Leib und Seel’ dahingegeben,

Wer je an dich mit Glut und Wonnebeben

Sich selig schmiegte in vertrauter Stunde:

 

Des Name soll vom sattgeküßten Munde

Nie anders dir als dankbar-treu entschweben,

Er soll dir heilig sein dein ganzes Leben,

Ruhn dir, ein Kleinod, auf des Herzens Grunde.

 

Du kannst ihn fliehn, kannst seine Lieb’ verwinden,

Kannst andern dich in heißern Gluten binden;

Nie darf er ganz dem Herzen dir entschwinden!

 

Der soll fürwahr des Unheils nie genesen,

Wer je in liebem Aug’ vergißt zu lesen

Die heil’ge Schrift: Mit diesem Eins gewesen!